Mütter in der Kreativbranche
Berufstätig, DJ und Mutter – das alles ist Tante Kante und noch viel mehr...
Berufstätig, DJ und Mutter – das alles ist Tante Kante und noch viel mehr...
In einem FAZ-Artikel schreibt Tante Kante über ihren Alltag als berufstätige Mutter und DJ. Trotz immenser Herausforderungen setzt sie sich in der Kreativbranche durch und erfährt dafür sowohl Bewunderung als auch mangelndes Verständnis.
Wir haben mit Tante Kante über ihre Erlebnisse und ihre Wünsche für sich und andere Mütter und Eltern im Allgemeinen gesprochen.
Nico: Warst du zuerst DJ oder zuerst Mutter?
Tante Kante: Eine Ausnahme oder wahrscheinlich eher eine Besonderheit: Danach erst. Also, ich hatte schon in meiner Pubertät Kontakt zu elektronischer Musik. Ganz früh habe ich gedacht: Da kann ich drauf relaten, das macht was mit mir, ziemlich geil! In der Pubertät habe ich das komplett mitgenommen und viel Musik gehört. Nach der Schule und im Studium ist es jedoch ein wenig verloren gegangen. Ich habe studiert, wurde dann schwanger und bekam mein erstes Kind, knapp vier Jahre später dann das zweite Kind. Lange Jahre war ich nicht mehr in der Szene aktiv, nicht einmal als Gast auf Partys. Gerade nach der Geburt des ersten Kindes hatte ich einfach weniger Zeit. Erst als meine zweite Tochter etwa zwei Jahre alt war, bin ich überhaupt mal wieder ausgegangen.
Nico: Wie war das für dich?
Tante Kante: Ich stand da und dachte: "Fuck, ja genau. Ich weiß noch, so war das, das war ja voll geil." Es gab so einen totalen Flashback, und ich habe gemerkt, ich habe das total verloren, und ich wusste gar nicht warum. Plötzlich war alles wieder da, und dann habe ich ein paar Jahre einfach nur als Gast an der Szene teilgenommen. Aber dann habe ich gemerkt, hey, ich habe Bock, das Auflegen zu lernen und auszuprobieren, wie das funktioniert, und das habe ich dann gemacht. Tatsächlich ist mein DJing erst nach den Kindern entstanden, also erst in meinen frühen Dreißigern.
Nico: Wie steht dir das Nachtleben, als Mutter, gegenüber?
Tante Kante: Mit der Mutterrolle an sich haben glaube ich die wenigsten Probleme in der Szene. Zumindest habe ich nicht das Gefühl, dass ich verurteilt werde oder mit besonderen Augen angesehen werde. Wenn überhaupt, dann eher mit Bewunderung von Frauen, das ist ja auch ein Teil, den ich in meinem Artikel verarbeitet habe und den ich auch kritisch betrachte. Aber negative Verurteilung im Sinne von "Du hast hier nichts mehr verloren" habe ich nicht erfahren.
Nico: Wie unterscheidet sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Eltern, die als DJs im Nachtleben sind, und Eltern, die nur zum Feiern da sind?
Tante Kante: Das DJing ist auf gewisse Art und Weise auch eine Professionalität. Man fährt zu einem Gig, spielt und hat danach die Möglichkeit zu sagen: "War schön bei euch, tschau, ich gehe nach Hause." Entsprechend wird man wahrgenommen. Man kann diesen Beruf oder dieses Hobby auch super professionell durchziehen. Das machen auch einige, die auf einem Niveau spielen, das sich von dem unterscheidet, wie ich unterwegs bin. Ganz sicher wird es unterschiedlich wahrgenommen, aber so wirklich drüber sprechen tun dann doch wenige. Innerhalb der Szene natürlich sowieso, das ist ja auch eine Bubble und so ein ganz besonderer Rahmen von Leuten, in dem man sich bewegt. Ich glaube, da sind viele einverstanden, egal ob das Eltern, Mütter oder Väter sind oder eben nicht. Da habe ich noch keinen erlebt, der Kritik geäußert hat.
Nico: Welchen Umgang erhoffst du dir von der Szene?
Tante Kante: Gerade unsere Szene legt viel Wert darauf, divers zu sein, offen zu sein und alle mitzudenken. Wenn man damit kokettiert, dann muss man das am Ende auch ernst meinen.
Nico: Gab es schon unschöne Situationen, die du erfahren hast, weil du Mutter bist?
Tante Kante: Ein Beispiel, das ich im Artikel genannt habe, war das Booking bei einem Festival. Ich hätte schon im Jahr davor gebucht werden sollen, aber es hat wegen terminlicher Überschneidungen nicht geklappt. Dann habe ich im Frühling nachgefragt, ob es dieses Jahr klappen könnte. Für mich hat es eine ganz andere Bedeutung Bescheid zu wissen. Meine Kinder haben sechs Wochen Sommerferien, in denen die meisten Festivals stattfinden. Ich muss planen, wann ich mit meinen Kindern in den Urlaub fahre, wann ihr Vater mit ihnen in den Urlaub fährt, habe ich die Kinder an dem Wochenende? Für mich hängt da ein riesiger organisatorischer Rattenschwanz dran. Ich schaufle mir für so ein Festival richtig krass Sachen frei bzw. lege meine Urlaube danach. Ich bin kein studierender DJ aus Berlin, der sagt, komm scheißegal, sag mir zwei Wochen vorher Bescheid und ich komme. Das funktioniert bei mir einfach nicht.
Nico: Wie haben die Veranstaltenden auf deine Nachfrage reagiert?
Tante Kante: Ich wurde nach meiner Nachfrage erstmal ignoriert und habe dann nochmal nachgefragt. Ich habe gesagt: "Hey, könnt ihr mir bitte mal kurz Bescheid geben? Es ist für mich wichtig.“ Ich habe meine Situation erklärt. Die Antwort war dann: "Hey, ist ein bisschen stressig mit dir, es ist eigentlich nicht normal, dass man das so früh wissen will.“ Im Endeffekt wurde ich dann deswegen nicht gebucht, weil sie das nicht so cool fanden. Diese Erfahrung war blöd und hat mich frustriert. Ich habe mich in dem Moment auch irgendwie verletzt gefühlt.
Nico: Was ist dein Wunschziel bei diesem Thema?
Tante Kante: Es geht mir nicht darum, dass ich möglichst früh Bescheid wissen wollte, um mir einen Platz zu ergattern und Hauptsache Gigs. Bei mir geht es wirklich um Organisation. Das ist von mir auch eine Wertschätzung, wenn ich im Sommer auf einem Festival spiele. Das ist für mich ein Riesending, mir das freizuschaufeln. Dass es dann so eine Reaktion darauf gab, und gesagt wurde, wir buchen dich nicht, weil du nachgefragt hast, das hat mich echt frustriert. Das führt dazu, dass ich voll unsicher werde bei anderen Veranstaltern und mich frage, ob ich überhaupt nachfragen darf und um eine Verbindlichkeit bitten darf. Es ist auch oft vorgekommen, dass sich Playtimes komplett verschoben haben, was für mich auch Stress ist, weil ich alles drumherum plane. Dann kommt der Timetable und mein Gig hat sich um 12 Stunden verschoben, das geht nicht. Ich wird dann oft als kompliziert wahrgenommen, so hochnäsig. Ich habe viele Verpflichtungen als Mutter, dafür Wahrnehmung zu schaffen, habe ich mir vorgenommen.
Nico: Du hast vorhin den Punkt „Bewunderung“ angesprochen. Wieso blickst du in deinem Artikel kritisch auf diese Bewunderung?
Tante Kante: Es wird viel bewundert, wenn man als Mutter so etwas schafft und auf die Beine stellt. Das löst in vielen Menschen, besonders bei Müttern, große Bewunderung aus, und ich freue mich natürlich darüber. Aber mir war total wichtig zu betonen, dass es nicht nur damit zu tun hat, wie sehr man sich anstrengt oder wie gut organisiert man ist. Das würde ja bedeuten, dass andere es nicht hinbekommen, weil sie sich nicht genug anstrengen oder nicht organisiert genug sind – und das stimmt überhaupt nicht. Die Realität vieler Mütter, ich bleibe jetzt mal bei den Müttern, ist, dass sie in Jobs sind, die viel Zeit einnehmen, in Strukturen festhängen, wo sie wenig Geld, wenig Zeit und damit wenig Kapazitäten haben. Man muss einfach mal sagen, dass ich die Privilegien habe, das alles tun zu können. Dazu gehört, dass ich einen Job habe, der mir finanzielle Sicherheit gibt, aber auch zeitliche Freiheit lässt. Ein strukturelles, also familiäres Umfeld von Menschen, die bereit sind, mir auch Sachen abzunehmen und das mittragen. Nicht jede Frau, die Kinder hat, kann das tun. Das erzeugt in vielen Müttern einen Druck, wenn sie eine Figur wie mich sehen. Ja, ich bin eine Energieperson, aber Achtung, ich habe gute Voraussetzungen, um das alles machen zu können.
Nico: Was wünschst du dir von Bookerinnen und Bookern?
Tante Kante: Ich wünsche mir von Bookerinnen und Bookern, dass sie wahrnehmen, dass es unterschiedliche DJs gibt mit unterschiedlichen Lebensrealitäten. Sie sollten nicht immer von den jungen, flexiblen DJs ausgehen, die jederzeit können. Wir haben unterschiedliche zeitliche und ökonomische Voraussetzungen. Ich wünsche mir, dass das gesehen und mitgedacht wird und darauf Rücksicht genommen wird. Ich erwarte nicht, dass mir der rote Teppich ausgerollt wird, aber wenn es um solche einfachen Sachen geht, sollte man etwas früher eine Verbindlichkeit erfragen können, ohne dass das gleich als hochnäsige Verhaltensweise ausgelegt wird. Dass Verständnis dafür entwickelt wird, dass es für den einen oder die andere wichtiger ist, früh Bescheid zu wissen oder Verbindlichkeiten zu haben. Das wäre total cool, und das wünsche ich mir. Und dass wir darüber einfach auch in der Szene und im Allgemeinen offen im Gespräch bleiben. Ich will ja auch nur zum Nachdenken anregen. Ich bin die Letzte, die böse ist. Ich bin eine recht fröhliche Person und habe einfach Bock auf Austausch und Bewegung. Ich will, dass es weitergeht.
Nico: Was wünschst du dir von der Gesellschaft im Blick auf das Thema der Bewunderung?
Tante Kante: In Bezug auf die Bewunderung: Natürlich ist es toll, bewundert zu werden. Es wäre total komisch, wenn ich sagen würde, das tut nicht gut – klar, das ist wunderschön. Aber es ist wichtig, bei sowas, vor allem auch für Leute im Social Media, diese Bewunderung für bestimmte Mutterdarstellungen, vielleicht auch für Mütter, die Künstlerinnen oder Musikerinnen sind, toll zu finden, aber dabei den Hintergrund der einzelnen Personen mitzudenken. Oft sind wir sehr privilegierte Frauen, die an diesen Stellen mitwirken dürfen. Viele Frauen dürfen und können das aus strukturellen Gründen einfach nicht. Wir sind jetzt an einem tollen Punkt, wo viele privilegierte Frauen in dieser Szene mitmachen, aber das ist noch lange nicht das Ende. Es muss weitergehen, und es müssen große gesellschaftliche Veränderungen her. Wir brauchen Möglichkeiten für viele und nicht nur für die privilegierten Frauen mit genug Zeit, Geld im Hintergrund und guten familiären Strukturen.
Nico: Wenn man jetzt Bock bekommen hat, zu einem Tante Kante Set zu raven: Wo kann man dich spielen sehen?
Tante Kante: Am meisten tatsächlich in Berlin, obwohl ich ja gar nicht aus Berlin komme, sondern aus Frankfurt am Main. Im Kater spiele ich in Berlin gefühlt am häufigsten, aber ich war auch schon im Sisyphos, im Meier, ich glaube, das macht jetzt zu, in der Beate und in der wilden Renate. Nächstes Jahr steht Golden Gate auf dem Programm – in den gängigen Läden in Berlin. Ansonsten machen wir hier in Wiesbaden den Club Loyal, Trockener Sekt, eine Freundin und ich. Das ist immer gut für Leute aus unserer Gegend. Das ist im Schlachthof in Wiesbaden, das ist eigentlich der einzige Veranstaltungsort dort. Da machen wir seit über einem Jahr jetzt diese Club Loyal Reihe, wo wir nur Flinta DJs buchen. Bisher waren das aber tatsächlich nur Frauen. Das ist ein Day Rave, bisher sonntags, jetzt sind wir auf samstags umgestiegen, weil wir gemerkt haben, das funktioniert besser am Samstag. Es ist super! Super Sound, super DJs, super Leute – macht immer mega Spaß. Wir machen alle zwei Monate eine Veranstaltung, die nächste ist am 16.12.