Die politische Kraft der Demo-Raves und Technoparaden
Demo-Raves und Technoparaden sind nicht nur große Partys. Erfahrt, wie Demo-Raves Aktivismus und elektronischer Musikkultur eine Plattform gibt.
Demo-Raves und Technoparaden sind nicht nur große Partys. Erfahrt, wie Demo-Raves Aktivismus und elektronischer Musikkultur eine Plattform gibt.
Eine bunte, tanzende Masse zieht über die Straße des 17. Juni, am Horizont reflektiert die Sonne im Gold der Siegessäule. Dröhnende Bässe und stampfende Beats lassen die heiße Luft vibrieren. Das Meer aus Menschen wird von großen, geschmückten LKWs geteilt. Vom Deck der Wagen heizen DJs die Feierwütigen auf der Straße an. Aus aller Welt sind sie heute angereist, um an der Parade teilzunehmen. Sie sind aber nicht einfach zum Feiern hier – sie protestieren. Für die Techno-Kultur, für Liebe und Frieden, gegen Rechts, für eine bessere Welt. Aber was unterscheidet diese Art der Demonstration von Open Air Raves? Wir haben mit den Verantwortlichen hinter Rave the Planet Berlin, Street Parade Zürich und DemoRave Hamburg gesprochen.
Im Sommer 1992 fährt der ehemalige Mathematikstudent Marek Krynski von Zürich nach Berlin. Hier will der Techno-Liebhaber an der Loveparade, der Mutter aller Technoparaden, teilnehmen. Einmal im Jahr zieht die Parade mit Tausenden Anhänger:innen durch Berlin, um sich für Frieden, Toleranz, Nächstenliebe und den Schutz der elektronischen Tanzmusik-Kultur einzusetzen. Marek ist begeistert: Sowas braucht Zürich auch! Er meldet kurzerhand eine Demonstration für „Liebe, Friede, Freiheit, Großzügigkeit und Toleranz“ bei der Stadtpolizei an und bekommt die Bewilligung. Zwei Monate später findet die erste Street Parade in Zürich statt. „Damals waren nur eine Handvoll Leute beteiligt“, erinnert sich Stefan Epli, Vorstandsmitglied der Street Parade. „Es gab sieben Lovemobiles, von denen nur zwei funktionierten.“ Lovemobiles, so heißen die Wagen auf der Street Parade. Die erste Veranstaltung ist ein voller Erfolg – zum ersten Mal traut sich die Techno-Bewegung aus ihren Kellern hinauf auf die Straßen Zürichs.
Was klein und fein ist, zieht natürlich immer mehr Menschen an. Schon die dritte Ausgabe will die Stadt verbieten, da damals über 3.000 Besucherinnen und Besucher erwartet werden. Für die Schweizer bedeutet das: zu viel Lärm, zu viele Drogen, zu viel Alkohol. Aber die Street Parade setzt sich rechtlich durch – sie dürfen weitermachen. Was als kleines Event mit sieben Lovemobiles begann, entwickelt sich schnell zu einer der größten Technoparaden weltweit. „Die Street Parade ist die friedlichste und schönste Veranstaltung der Welt“, schwärmt Stefan. „Verschiedene Kulturen und sexuelle Ausrichtungen tanzen zum gleichen Beat, lachen und flirten friedlich miteinander.“ Die Resonanz auf die Demonstrationen ist groß und zeigt, dass die Menschen auch hinter den politischen Botschaften stehen. Stefan beobachtet: „Es gibt einige, die interessieren unsere Werte überhaupt nicht. Es gibt aber andere, die das supercool finden. Das sehen wir, wenn wir durch die Parade laufen und die Leute Fahnen schwingen, auf denen ‚Love, Peace & Tolerance‘ steht und sie nach unseren Werten feiern.“
Auch der Loveparade schließen sich über die Jahre immer mehr Demonstrierende aus aller Welt an. Im Jahr 1999 gehen 1,5 Millionen Menschen auf die Straße, aber auch Stimmen gegen das Technoevent werden immer lauter. Das geht schließlich so weit, dass das Bundesverfassungsgericht der Loveparade den Demonstrationsstatus aberkennt. „Es war immer eine Friedensdemonstration für uns Raver“, meint Ellen Dosch-Roeingh von Rave the Planet, ehemals Loveparade. „Die breite Bevölkerung hat die Parade oftmals als große Party auf Kosten des Steuerzahlers abgetan." Auch der politische Ansatz wird hinterfragt, für Ellen unverständlich: "Eine Veranstaltung, die im öffentlichen Raum stattfindet, wo Menschen sämtlicher Religionen, Ethnien und sexuellen Ausrichtungen friedlich zusammenkommen – Mehr Friedens-Message gibt's für mich nicht.” Es folgen einige Jahre des Umbruchs und dann das Unglück 2010 in Duisburg. Danach verschwindet die berühmte Liebesparade in die Geschichtsbücher.
Ein Jahrzehnt später nimmt sich Loveparade-Gründer Dr. Motte vor: „Wir holen die Parade zurück nach Berlin.“ Mit weiteren Techno-Enthusiast:innen gründet der DJ eine gemeinnützige Organisation: Rave the Planet. Ihre Vision: Die Berliner Technokultur, mit ihren Besonderheiten und Eigenarten, soll als Immaterielles Kulturerbe unter den Schutz der UNESCO gestellt werden. 2022 war es dann so weit, die erste Rave the Planet Parade findet in Berlin statt. Die ganze Stadt ist auf den Beinen. Tanzende Menschen, soweit das Auge reicht, auf Bushaltestellen und Laternenmasten. Sie alle führen das Erbe der legendären Technoparade fort und sind ein Symbol für Toleranz und Respekt für alle Menschen.
Etwas weiter nördlich geht eine Gruppe von Freundinnen und Freunden für den Erhalt von Subkultur in Hamburg auf die Straße. Alex, einer der Initiatoren, erklärt: „Wir wollten spontane, nicht-kommerzielle Open Airs feiern. Wir wurden aber immer wieder von vermeintlich öffentlichen Plätzen, die nicht genutzt wurden, weggeschickt.“ Um das Feiern auf öffentlichen Plätzen zu ermöglichen und gleichzeitig auf politische Missstände hinzuweisen, gründen Alex und seine Freunde:innen DemoRave Hamburg. Andere Kollektive der Hansestadt springen auf das Konzept auf und veranstalten Soli-Partys. Später bekommen sie auch finanzielle und organisatorische Unterstützung vom Clubkombinat Hamburg, einem Verband von Clubbetreibenden und Kulturschaffenden. DemoRave Hamburg fordert von der Stadt, dass Orte zur Verfügung gestellt werden, an denen spontane, nicht-kommerzielle Open Airs stattfinden können. „Es braucht Strukturen, die darauf achten, dass die Subkultur nicht in eine Notlage gerät“, findet Alex.
Wenn sich ihre Demo-Wagen in Bewegung setzen, szenebekannte DJs auflegen und sie bunt beschriebene Pappschilder gen Himmel strecken, sprechen die Kollektive von DemoRave Hamburg unterschiedlichste Themen an: Schutz von kulturellen Einrichtungen, Arbeitsbedingungen der Clubarbeitenden im Nachtleben, gegen Rechts, für Diversität und Offenheit in der Kulturszene. „Alle haben verschiedene Themen und vertreten verschiedene Subkulturen. Alle sollen ihre Stimme hier laut machen können“, beschreibt Alex ihr Konzept. „Wir steuern dann Orte an, die uns wichtig erscheinen – egal, ob wir sie kritisieren oder hochloben wollen.“
Zurück in Zürich. Die Vorbereitungen auf die diesjährige Street Parade laufen. Das Line-Up, zusammengestellt aus internationalen und Schweizer Acts steht fest. Die Street Parade ist ein nicht gewinnorientierter Verein – Eine Gage bekommen die DJs also nicht, aber fürs Geld legt hier sowieso kaum eine:r auf. „Wir schauen immer, dass wir möglichst viele Sponsoren holen, damit wir die Parade überhaupt finanzieren können“, beschreibt Stefan Epli die finanzielle Herausforderung. „Wir nehmen keinen Eintritt. Wir haben nur einen Getränkeverkauf vor Ort und das war’s.“ Mit diesem Geld müssen die Gebühren und Stages bezahlt werden. Im letzten Jahr, zum dreißigjährigen Jubiläum, hatten die Veranstalter:innen Glück mit dem Wetter, was dementsprechend den Getränkeverkauf ankurbelte. „Der Gewinn wird in zukünftige Paraden investiert, deswegen gibt es dieses Jahr auch eine Bühne mehr.“ Ein großer Teil des Budgets müssen die Schweizer:innen in die teuren Auflagen stecken: „Was Dr. Motte nicht machen muss, ist zum Beispiel den ganzen Abfall bezahlen“, erklärt der Vorstandsvorsitzende. „Verkehrsumleitung und Polizei und so weiter müssen wir von Vereinsseite finanzieren.“
Tatsächlich muss Rave the Planet für die Säuberung der Strecke und die Sicherheit der Besucherinnen und Besucher nicht selbst aufkommen, da es sich bei der Technoparade um eine Sonderform der politischen Demonstration handelt, die unter das Versammlungsrecht fällt. Tanz und Musik sind dabei Ausdrucksformen der politischen Meinungskundgebung. „Wir machen immer wieder deutlich, dass wir eine Demonstration sind“, betont Ellen Dosch-Roeingh. „Den Float-Betreibenden sagen wir, dass sie sich eine unserer Forderungen auswählen und sichtbar machen sollen. Anders erkennen es die Versammlungsbehörde und die Polizei nicht als Demonstration an.“ Auch die Berliner Technoparade ist auf Spenden und Förderungen angewiesen, um ihr Projekt zu finanzieren. Im März 2024 zahlt sich die ganze Arbeit endlich aus: Die Berliner Technokultur wird offiziell unter den Schutz des Bundesweiten Immateriellen Kulturerbes der UNESCO gestellt. Das bedeutet aber nicht das Ende von Rave the Planet, mit dem Immateriellen Kulturerbe fängt die Arbeit eigentlich erst richtig an.
Ob in Hamburg, Zürich oder Berlin – Demo-Raves und Technoparaden vereinen Musik und politischen Aktivismus. Während Open Air Raves hauptsächlich auf Unterhaltung und Gemeinschaftserlebnis ausgerichtet sind, haben Demo-Raves und Technoparaden einen klaren politischen oder gesellschaftlichen Fokus. Sie sind nicht nur große Partys, sondern Ausdruck von Solidarität, Freiheit und Gemeinschaft. Sie zeigen, dass Musik und Tanz Werkzeuge des Protests und der gesellschaftlichen Veränderung sein können.
Von Johannah Hainke