Bye, Bye Disko – steckt die Clubkultur in der Krise?
Clubs schließen, ikonische Orte verschwinden – und mit ihnen ein Stück Kultur. Wir haben mit Akteur:innen aus der Clubszene gesprochen und sie gefragt, ob die Kultur der Nacht in der Krise steckt.
Clubs schließen, ikonische Orte verschwinden – und mit ihnen ein Stück Kultur. Wir haben mit Akteur:innen aus der Clubszene gesprochen und sie gefragt, ob die Kultur der Nacht in der Krise steckt.
Freitagabend in Berlin, Kreuzberg. Vor dem ‘Watergate’ bildet sich eine lange Schlange: “Sven Väth legt auf!”. Er wird einer der letzten sein, die im legendären Technoclub spielen werden. Seit Anfang der 2000er trägt die Location an der Oberbaumbrücke dazu bei, dass Berlin DIE Adresse fürs Nachtleben ist. Doch dann, im Sommer, kurz nach seinem 22. Geburtstag, die ernüchternde Nachricht: “THE END IS NEAR!” – Der Club schließt, und zwar schon Ende des Jahres.
Das ‘Watergate’ ist damit nicht allein. Überall ist von Clubschließungen zu lesen: das ‘Institut für Zukunft’ in Leipzig, das ‘Lemuria’ in Köln, die ‘Wilde Renate’ in Berlin, die ‘Zukunft Zürich’ in der Schweiz – um nur einige zu nennen. Auch bundesweit schlagen Verbände Alarm: Die Clubkultur steckt in der Krise – und mit ihr ein wichtiger Teil unserer Kultur.
Die Gründe für die Krise sind vielfältig. Besonders die Corona-Pandemie hinterließ tiefe Spuren: Monatelang mussten viele Läden schließen. “Die Branche wurde drei Jahre durchgerüttelt, und die Nachwirkungen spüren wir bis heute”, erklärt Thore Debor von der LiveKomm, dem Bundesverband der Musikspielstätten. Trotz staatlicher Corona-Hilfen konnten viele finanzielle Schäden nicht ausgeglichen werden, sodass die Clubszene in eine erhebliche Schieflage geriet.
Doch die Pandemie ist nur ein Teil des Problems. Die steigende Inflation belastet die Betreiber:innen zusätzlich – Mieten, Energiekosten, Gehälter und Gagen schnellen in die Höhe. Gleichzeitig beobachten Branchenkenner:innen wie Debor ein verändertes Ausgehverhalten. Eine Mischung, die gefährlich ist: “Um die Mieten zu zahlen, müssen Clubs Eintritts- und Getränkepreise erhöhen, was wiederum junge Menschen trifft, die ohnehin weniger Geld haben.”
Die Folgen von Pandemie, Inflation, Gentrifizierung und Feier-Müdigkeit sind nicht nur zu spüren, sondern auch messbar. Laut eines aktuellen Berichts der LiveKomm sind die Besucherzahlen bundesweit um etwa 10 Prozent gesunken, während die Betriebskosten weiter steigen. Mehr als die Hälfte der befragten Musikspielstätten sieht sich ohne zusätzliche staatliche Unterstützung in den kommenden zwölf Monaten vor dem Aus.
In Zürich zeigt sich ein ähnliches Bild. Alex Bücheli von der Bar- und Clubkommission spricht von einem “schleichenden Clubsterben” in der Schweiz. Immer mehr Clubs schließen oder versuchen mit Crowdfunding ihre Existenz zu sichern. Das Problem: Der Umsatz pro Kopf ist im Vergleich zu 2018 um bis zu 40 Prozent gesunken. Und auch in der Schweiz steigen die Kosten in allen Bereichen. “Die Leute gehen zwar noch aus, aber sie haben einfach weniger Geld zur Verfügung”, erklärt Bücheli. “Zudem trägt ein gesteigertes Gesundheitsbewusstsein zu geringeren Einnahmen bei, da an den Bars weniger Alkohol konsumiert wird.” Bücheli wirft daraufhin die Frage in den Raum, “ob es überhaupt noch finanzierbar ist, in einer Stadt wie Zürich, die ohnehin sehr teuer ist, einen Clubbetrieb aufrechtzuerhalten.”
Die Lage mag alarmierend klingen – und das ist sie auch, doch Thore Debor sieht den Begriff “Clubsterben” kritisch: “Wir haben in Hamburg immer noch über 100 Clubs, die täglich Live-Musik ermöglichen. Die Branche ist definitiv angeschlagen, aber sie ist noch lange nicht tot.” Klar ist jedoch: Alleine wird sich die Kultur der Nacht nicht retten können – jetzt ist die Politik gefragt. Debor und die LiveKomm arbeiten seit Jahren daran, Clubs- und Musikspielstätten politisch stärker zu vertreten. “Wir setzen uns für bessere Rahmenbedingungen ein, etwa dafür, dass Clubs im Baurecht nicht mehr als Vergnügungsstätten gelten”, erklärt Debor. Mit der aktuellen Regierung gab es intensive Verhandlungen. Ursprünglich sollte das Thema in den anstehenden Haushaltsverhandlungen eine Rolle spielen. Doch seit dem Zerwürfnis der Ampelkoalition herrscht mehr Unsicherheit als Klarheit. “Für die Clublandschaft bedeutet das nichts Gutes”, befürchtet Debor. Bis es eine neue Regierung geben wird und klar ist, wer die neuen Ansprechpartner:innen sind, wird es dauern. “Anfangen, an den Themen zu arbeiten, können wir vielleicht wieder im September. Das heißt, wir werden ein Jahr verlieren – in einer für uns extrem kritischen Phase.”
Auch das ‘Hafenklang’ in Hamburg sieht Handlungsbedarf. Der Club im Herzen St. Pauli prägt seit 28 Jahren die Hamburger Techno- und Konzertszene. Für sie hat die Musik oberste Priorität, während finanzielle Aspekte erst an zweiter Stelle stehen. “Es war schon immer knapp, das sind wir gewohnt”, sagen Thomas und Martina, die seit zwei Jahrzehnten Teil des Ladens sind. Dieses Jahr standen sie dann aber kurz vor dem Aus. “Ich hab das durchgerechnet und tatsächlich haben wir in einem Jahr 100.000 Euro minus gemacht.”, erzählt Thomas. Mit einer Crowdfunding-Kampagne retteten sie sich Dank ihrer Community vor der Insolvenz. Bereits nach 48 Stunden erreichten sie ihr Spendenziel. “Ich war zuversichtlich, dass es funktionieren würde – wir bekommen schließlich immer tolles Feedback”, erinnert sich Martina. “Aber dass so viele Menschen so großzügig spenden, damit hatte ich nicht gerechnet. Das war wirklich emotional.” Die Insolvenz konnten sie damit erstmal abwenden, doch auf lange Sicht wird das Geld nicht reichen.
Thomas sieht das Hauptproblem bei der Politik und ihrem mangelndes Verständnis für kleine Kulturstätten. “Am Ende ist es eine bewusste Entscheidung der Kulturbehörden, ob sie solche Bühnen erhalten wollen oder nicht. Und wenn ja, dann müssen sie auch anders gefördert werden”, findet er. Besonders ärgert ihn die ungleiche Verteilung von Geldern: “Da wird eine Industriemesse wie das Reeperbahn Festival mit acht Millionen Euro gefördert, und alle Clubs in Hamburg zusammen bekommen gerade mal 300.000 Euro im Jahr. Was dann bei uns ankommt, ist eigentlich nichts.”
Was in Hamburg als unzureichend gilt, könnte für Alex Bücheli als Blaupause dienen. “Von der Politik gibt es bislang kaum Unterstützung”, schildert er. In Zürich diskutieren sie gerade, wie eine zukünftige Clubförderung gestaltet werden könnte. Dabei sei ein Modell wie in Basel denkbar, wo Clubförderungen in die allgemeine Kulturförderung integriert sind, oder ein Ansatz wie in Hamburg, wo eine Stiftung gezielt das Nachtleben unterstützt. Zumindest stellt Bücheli fest, dass die Sensibilität für das Thema bei den meisten Politiker:innen deutlich gestiegen sei. “Unsere Forderung an die Politik ist klar: Die Kultur der Nacht muss als eigenständige Kultur anerkannt werden”, betont er. “Ohne gezielte Förderinstrumente können sich Clubs zukünftig nicht mehr allein tragen.”
Vom wirtschaftlichen Aspekt mal abgesehen, könnte ein Clubsterben weitreichende immaterielle Folgen haben. Clubs bieten Räume, in denen junge Menschen sich austauschen und Gemeinschaft erleben können. Vor allem aber bieten sie Nachwuchskünstler:innen abseits des Mainstreams eine Bühne, auf der sie ihre Musik präsentieren und weiterentwickeln können. “Ohne Clubs gibt es weniger Auftrittsmöglichkeiten, weniger neue Acts und weniger Vielfalt”, warnt Debor und spricht von einer drohenden “Verödung der Kultur”. Martina und Thomas vom ‘Hafenklang’ sind überzeugt, dass die großen Player der Musikindustrie auf die kleinen Bühnen angewiesen sind. “Ohne uns gibt es bald keinen Nachwuchs mehr”, meint Thomas. Beide fordern, dass die Industrie ihre Verantwortung erkennt: “Vielleicht sollten sie überlegen, wie sie kleine Bühnen aktiv unterstützen können”, ergänzen die Vorstandsmitglieder des ‘Hafenklang’.
Auch Bücheli warnt vor sozialen Folgen. Ohne Clubs würde sich das Feiern in den öffentlichen Raum verlagern, mit mehr Lärm, Müll und Konflikten. “Wir würden an einem Wochenende 50.000 Menschen mehr auf den Straßen und in Parks sehen”, prognostiziert er.
Trotz aller Herausforderungen zeigt sich die Szene anpassungsfähig. Musikalisch bewegt sich gerade viel: “Härtere Genres wie Gabba, Breakcore und Drum & Bass begeistern die Leute immer mehr”, beobachtet Thomas. Gleichzeitig entwickeln sich neue Veranstaltungsformate, die das veränderte Ausgehverhalten berücksichtigen. Bücheli berichtet von Day-Partys, kurzen Raves unter der Woche und besonderen Events wie “Mama tanzt”, die gezielt unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. Für Bücheli steht fest: “Selbst in tausend Jahren wird es noch Keller geben, in denen Strobo Lichter flackern und laute Musik spielt.”
Von: Johannah Hainke